In der Schweiz werden KFZ-Kennzeichen dem Halter und nicht dem Auto zugeteilt. Bei der Abmeldung müssen die Straßenverkehrsämter die Kennzeichen deshalb ein Jahr für den Fall aufbewahren, dass der Halter im gleichen Kanton erneut ein Fahrzeug anmelden möchte. Allein beim Straßenverkehrsamt des Kantons Zürich mussten deshalb bis zu 80.000 Kennzeichenpaare in einem automatischen Lager vorgehalten werden. Eine Erneuerung des Lagers hätte Millionen gekostet. Ein neues Konzept, das auf eine computergestützte automatische Identifikation der Schilder setzt, reduziert diese Investition.
Wir haben in der Schweiz insgesamt 28 Kategorien von KFZ-Kennzeichen, die sich in Form, Anordnung der Zeichen, Farbe und Größe unterscheiden“, erklärt Stefan Bättig, Leiter Infrastrukturprojekte und Logistik beim Straßenverkehrsamt des Kantons Zürich. Zur Abmeldung braucht der Halter seine Kennzeichen nur in eine Box vor den verschiedenen Standorten einzuwerfen. Im zentralen Lagerort in Zürich laufen pro Tag bis zu 1.600 Kennzeichen ein. Diese müssen registriert, kontrolliert und entweder archiviert oder vernichtet werden. Kritisch ist hierbei der Anfall an Kennzeichen für PKW. Diese fallen in solchen Mengen an, dass ihre Aufbewahrung vollautomatisch in einem inzwischen 25 Jahre alten Automatiklager erfolgt. Für die Einlagerung müssen die Schilder zuvor in stabilen Kunststoffrahmen fixiert werden. Das Lager besteht aus insgesamt neun Schwerlast-Paternostern, die über zwei Etagen bis in das Kellergeschoss reichen. Für die anderen Fahrzeugkategorien reicht die manuelle Aufbewahrung der Kennzeichen in separaten Lagern.
„Aufgrund des ständigen Bevölkerungswachstums näherte sich dieses Paternosterlager immer mehr seiner Kapazitätsgrenze“, erinnert sich Stefan Bättig. Als die Belegung im Januar 2021 fast 95 Prozent erreichte, musste dringend eine neue Lösung her. Ein neues Gerät hätte viele Millionen gekostet und zudem enorme bauliche Aufwendungen erfordert. Deshalb wurde ein Konzept zur Verringerung der Lagerbelegung entwickelt. Eine Analyse der Reaktivierungsquote der eingelagerten Schilder ergab, dass mehr als 60 Prozent davon nicht wieder angefordert werden. Deshalb musste ein Konzept entwickelt werden, das eine sichere Aussortierung und Vernichtung nicht mehr benötigter Kennzeichen bereits vor der Einlagerung sicherstellte. Voraussetzung hierfür war eine Zweiteilung der Abgabecontainer. Diese weisen zwei deutlich gekennzeichnete Abgabeschlitze auf. Während die Abgabe zur Vernichtung kostenfrei ist, wird für einzulagernde Schilder eine Gebühr von CHF 40.- erhoben. Dadurch gelang es, die Belegungsquote des Paternosterlagers innerhalb eines halben Jahres auf inzwischen nur noch rund 50 Prozent zu senken.
Entlastung für die Mitarbeiter
„Die Umsetzung des neuen Konzepts erforderte jedoch zunächst eine weitgehende Umstellung der bisherigen Abläufe bei der Registrierung der einlaufenden Schilder“, so Roberto Accorinti, Leiter des Schilderlagers. Früher wurden die hereinkommenden Autoschilder grundsätzlich eingelagert. Um sie automatisch erkennen zu können, musste man sie zur Verbesserung der Lesbarkeit zunächst waschen. Verbogene Schilder wurden mithilfe einer Walzstation wieder geradegerichtet. Anschließend wurden zusammengehörende Schilder gemeinsam in einem Kunststoffrahmen befestigt und darin auf eine Förderstrecke gesetzt. Von dieser wurde jeder Rahmen einzeln mithilfe einer Liftmechanik vor eine Kamera geführt und mithilfe einer Zeichenerkennungssoftware eingelesen. Dieser Prozess war aufgrund des schlechten Zustands vieler Schilder sehr fehleranfällig: In rund 15 Prozent der Fälle musste die Ablesung manuell korrigiert werden. Auch bedingte das Einklipsen der Schilder in den Rahmen eine erhebliche körperliche Belastung der Gelenke und Sehnen der Finger mit entsprechenden nachteiligen Folgen für die Gesundheit der Mitarbeiter. Die Beibehaltung dieser aufwendigen Prozedur für die Registrierung der von vornherein zur Vernichtung bestimmten Schilder hätte keinen Sinn gemacht. Allerdings mussten sie in jedem Fall ebenfalls registriert werden, um die amtliche Halter-Datenbasis aktuell zu halten.
Eigenständige Kameralösung für das Ausbuchen
„Eine manuelle Erfassung dieser Schilder ist wegen des erforderlichen Personalaufwands nicht zu bewältigen“, ergänzt Roberto Accorinti. Zudem wäre die Fehlerquote viel zu hoch gewesen. Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung des Gesamtprojekts war deshalb eine eigene Anlage, um die zu vernichtenden Schilder mit hoher Zuverlässigkeit und kurzer Taktzeit vollautomatisch zu registrieren. Die Realisierung übernahm das Unternehmen Compar in Pfäffikon. Die hierfür entwickelte Anlage besteht aus einem Förderband, auf dem der Bediener – je nach Kategorie – das Schild oder das Schilderpaar orientiert ablegt. Der zugehörige Rechner verfügt über einen Touchscreen, eine Tastatur sowie weitere Eingabemöglichkeiten. Die Schilder werden über eine segmentierte Vorlaufstrecke getaktet in den gegen Fremdlichteinfall abgeschirmten Aufnahmebereich der Kamera gefördert und fotografiert. Die Auswertung erfolgt aus Sicherheitsgründen über gleich zwei unabhängige Softwarealgorithmen: Zusätzlich zu einer klassischen OCR-Lösung (Optical Character Recognition) kommt noch die durch Künstliche Intelligenz (KI) unterstützte Software Vidi von Cognex zum Einsatz. Die Compar-eigene Bildverarbeitungssoftware Visionexpert beinhaltet alle Algorithmen, vergleicht die Ergebnisse beider Analysen und reagiert auf Differenzen mit einem Warnsignal. Der Prozess wird angehalten und der Bediener aufgefordert, die Eingabe zu korrigieren. Anderenfalls werden die Schilder ausgeschleust. Zudem erkennt das Programm auch Abweichungen der aufgelegten Schilder von der vorgewählten Kategorie anhand von Merkmalen wie Format, Farbe oder Anordnung der Zeichen und veranlasst auch in diesen Fällen eine Ausschleusung. Korrekt erkannte Schilder landen in einem großen Behälter zum Abtransport in einen Recyclingbetrieb.
Zuverlässigkeitsquote > 99 Prozent
„Die Anlage wurde bereits vor Auslieferung bei Compar vortrainiert und lief daher bereits bei Anlieferung im Herbst 2021 nahezu fehlerfrei“, freut sich Roberto Accorinti. Die Zuverlässigkeitsquote bei der Erkennung der Schilder, die direkt aus der Einwurfbox der Ämter kommen und weder gewaschen noch begradigt werden müssen, liegt oberhalb von 99 Prozent. Der Bediener muss die Schilder nur mit der Schrift nach oben auf das Band legen. Kleinere Abweichungen bezüglich Position und Winkel werden von der Software automatisch korrigiert. Das Einlesen erfolgt so schnell, dass der Anlagentakt nur davon abhängt, wie schnell der Mitarbeiter neue Schilder auflegt. Die erkannten Nummern werden in einer internen Datenbank gespeichert und zum Abgleich an die übergeordnete IT des Straßenverkehrsamtes weitergeleitet. Die wenigen ausgeschleusten Schilder können manuell verarbeitet werden.
Der Umgang mit dem System war für die Mitarbeiter einfach zu erlernen. Auch die von Compar erstellte Software habe sich als ausgereift, intuitiv bedienbar und gut handhabbar erwiesen. Im Vergleich zum bisherigen System, das für die einzulagernden Schilder nach wie vor zum Einsatz komme, können die Mitarbeiter deutlich mehr Schilder bewältigen, ohne gesundheitliche Nachteile befürchten zu müssen.